Nachdem ich immer "nur" mitgelesen und Wissen abgeschöpft habe, ist es Zeit für eine Vorstellung.
Im Mai 2023 habe ich mir einen V90 zugelegt, ein spätes Modell aus Baujahr 1997, mit dem Ziel eines Langzeitprojektes. Bedeutet Langzeit fahren, nicht schrauben (Nachhaltigkeit und so).
Das Fahrzeug hatte noch vier Wochen TÜV und war zugelassen. Der 6 Zylinder lief wie ein Sack Nüsse, beim Kaltstart klackerten die Hydrostößel, die Wartungshistorie war unbekannt. Die Kontrollleuchte des Automatikgetriebes machte durch freudiges Blinken auf sich aufmerksam und der Griff an der Außenseite der Fahrertür war durch einen Haubengummi ersetzt. Die Vorderachse machte bei der Probefahrt durch lautes Klopfen auf sich aufmerksam, die Servolenkung ging schwerer als erwartet und das Fahrzeug wankte durch Kurven wie ein Dampfer auf hoher See. Beim Anfahren gab es Vibrationen in der Lenkung. Es fehlten einige Teile, wie die Abdeckung der Abgaskrümmer, das Rollo im Kofferraum, Nebelscheinwerfer, die Lippe der Frontstoßstange, die Funkvernbedienung etc. und die Klimaanlage funktionierte nicht. Die Beleuchtung der Schalter und der Tachoeinheit funktionierte zu 50%. Die Hinterachse sackte im Stand deutlich ab, konnte sich beim Fahren aber noch nach oben pumpen. Der Klarlack auf der Motorhaube begann sich abzulösen. Also ausreichend Gründe, das Fahrzeug nicht zu kaufen.
Trotzdem war während der Probefahrt klar, dass der Motor Leistung hat. Die Blechteile der Karosse waren nicht durchgehend verdellt, angerostet oder verkratzt, wie bei so manchem Fahrzeug, was ich mir angesehen habe. Ich war von der Qualität der Karosse insgesamt überrascht, keine ausgeleierten Türbänder und auch die Fahrertür schließt nach 26 Jahren satt. Das Fahrzeug wurde vom Erstbesitzer in Vollausstattung ohne Schiebedach bestellt und hat, neben der gewünschten Farbe (dunkelblau) auch das gewünschte Sperrdifferential.
Beim ersten TÜV kamen weitere Punkte auf die Todo Liste: Abgastest nicht bestanden, die Wischerarme der Scheinwerfer fehlten und der Träger der Anhängekupplung war durch Rost stark geschwächt.
Die Abgasanlage kam inklusive beider Lambasonden neu, der alter KAT wurde verkauft.
Laut Forum war schnell klar, dass der Träger der starren und die abnehmbare Kupplung identisch sind. Eine gebrauchte Anhängekupplung mit starrem Kopf in sehr gutem Zustand wurde gerade auf Kleinanzeigen angeboten. Also ging der sehr gute Ersatz zum Sandstrahlen (ich mag keine Pulverbeschichtung), wurde grundiert, lackiert und Hohlraumkonserviert und der Halter für die abnehmbare Kupplung wurde wieder montiert.
Im zweiten Anlauf waren TÜV und AU bestanden und der Volvo konnte umgeschrieben werden.
Die Hinterachse bekam neue originale Volvo Niveaustoßdämpfer und einen neuen Stabilisator (Empfehlung des Forums). Der Sperrschalter des Automatikgetriebes wurde gewechselt und das Getriebe mit dem Reiniger von Automatik Berger gespült (nach Anleitung aus dem Forum "Eimer am Rücklauf").
Der Motor bekam eine Spülung und das Motoröl wurde in kurzem Abstand zwei mal getauscht, danach war das Klackern der Hydrostößel weg. Bohrung 3 und 4 für die Zündkerzen waren zu 2/3 mit Motoröl geflutet, vermutlich hat das Motoröl wegen dem verstopften Flammensieb aus dem Überlauf rausgedrückt. Die Anschlussstecker der Zündspulen waren so weich, dass sie sich bei höheren Drehzahlen von den Anschlüssen abrüttelten und einzelne Zündspulen den Betrieb einstellten. Ersatzstecker gab es für sehr kleines Geld bei Aliexpress.
Die Zündspulen und -kerzen wurden ersetzt, der Leerlaufregler und die Drosselklappe wurden gereinigt, das Flammensieb gewechselt und die die Dichtungen der Abgaskrümmer ersetzt. Danach lief der Motor wieder rund und die Leerlaufdrehzahl lag auf dem vorgegebenen Niveau.
Das Kühlsystem wurde gereinigt und gespült, der Thermostat gewechselt und alle Schläuche durch Silikonschläuche ersetzt. Ich bin erstaunt, wie schnell der Motor, vermutlich dank Rheumaklappe und Ölkühler, auf Betriebstemperatur kommt. Kein Vergleich zu den modernen Dieseln, die dafür deutlich mehr Kilometer benötigen.
Die Klimakondensator, der Trockner und die beiden Sicherheitsschalter wurden getauscht und die Klimaanlage neu befüllt. Diese kühlt seit dem Hochsommer so stark, dass man eine Jacke braucht.
Die Vorderachse wurde komplett zerlegt gestrahlt und neu lackiert. Alle Gelenke, Lager, Stoßdämpfer und die Motorlager wurden ersetzt. Dank dem Tipp aus dem Forum hatte ich einen Satz schwarzer Polybuchsen in Polen bestellt.
Nach der Spureinstellung steht das Lenkrad, allen Unkenrufen zum Trotz, gerade. Dank Spurkorrektur der Vorder- und Hinterachse (Multilink II) fährt der Volvo jetzt auch da hin, wo ich will.
Die Schläuche der Servolenkung kamen neu und es wurde ein Filter in die Rücklaufleitung eingebaut. Das System wurde mit ATF 1300 gefüllt, damit war die Schwergängigkeit auch Geschichte.
Bei der Aufarbeitung der Karosse habe ich mich von unten nach oben gearbeitet. Kantenrost am Unterboden und den Wagenheberaufnahmen wurde durch Sandstrahlen entfernt, die Stellen grundiert, lackiert und konserviert. In allen Radkästen mussten kleine Bleche eingesetzt werden, die bekannten Stellen am Batteriekasten und die beiden vorderen Halterungen der Radhausschalen waren punktuell vom Rost befallen. Insbesondere Stellen, an denen die Radhausschalen lange Zeit an der Karosse reiben (Kanten der Radläufe) und niemand den Dreck ausräumt, werden über kurz oder lang vom Rost durchlöchert. Das Fahrzeug hat anschließend eine komplette Hohlraumkonservierung gemäß dem Hohlraumplan aus dem Forum bekommen.
Alles in allem kein günstiges Vergnügen und in einer Werkstatt wirtschaftlich nicht umsetzbar. Allein die Summe der verbauten Ersatzteile liegt im hohen vierstelligen Bereich, die Arbeitsstunden habe ich erst gar nicht aufgeschrieben.
Das Forum hat mir sehr geholfen, die diversen Wehwehchen zu lösen, dafür an dieser Stelle einen herzlichend Dank!
Jetzt geht der Volvo noch zum Lackierer und er bekommt neue Winterschuhe. Im Winterhalbjahr wird es etwas ruhiger und es ist auch mehr Zeit zum Fahren.
Beste Grüße
Andreas