Die ewige Diskussion. Multilink vs. Starrachse

  • Moin.
    Nach insgesamt fast 400.000km in Volvos mit Starrachse habe ich ja nun einen "besseren" Elch mit der "besseren" Multilink Hinterachse. Noch dazu mit der MK-II.


    Nun denn, ich ziehe hier mal einen Vergleich.
    Meine ganzen Starrachsenvolvos (egal ob nun Serienfahrwerk, oder 25mm Volvo-Tieferlegung), hatten immer die selbe Tendenz. Fuhr man zu schnell in eine Kurve, oder wollte man schnell mal eben abbiegen, dann schoben sie alle über die Vorderachse. Egal ob nun nasser Asphalt oder trocken, die Tendenz des untersteuerns war immer gegeben wenn es zu schnell wurde.
    Geäußert hat es sich wie folgt:
    trockene Straße:
    es fängt an mit Reifenquietschen das nach und nach immer lauter wird. Irgendwann merkt man das die Karosserie doch leicht die Tendenz hat mehr nach vorne als durch die Kurve zu fahren, also steuert man ganz ganz dezent gegen. Um es in Lenkeinschlägen umzurechnen... Wenn man es gemerkt hat reichte idr ein etwas engerer Lenkeinschlag von 1-2mm Lenkraddrehung um das auszugleichen. Ist man dann immernoch schneller geworden konnte man das Übersteuern immer spielend mit einem etwas engeren Lenkeinschlag kompensieren. Ok, das heulen der Reifen wurde lauter, aber das Fahrzeug ist dennoch immer gut kontrollierbar gewesen. Hat man es dann immernoch deutlich mehr übertrieben, hat man gemerkt daß das Heck ganz allmählich auch mal ausbrechen möchte. Kompensieren konnte man das wiederum ganz leicht durch ein leichtes öffnen des Lenkeinschlags (wieder nur 1-2mm), oder durch schlichtes reduzieren der Geschwindigkeit.
    Wenn man es wirklich drauf anlegen wollte mit dem Heck auszubrechen, dann mußte man die Karosserie zunächst aufschaukeln und dann im Hauruckverfahren das Lenkrad rumreißen, gleichzeitig Vollgas geben und schon kam das Heck ganz dezent rum.
    Wenn die Straße mal nass war und man beispielsweise eine S-Kurve mit recht geringer Frequenz zu schnell durchfahren hat, dann kam das Heck durch das aufschaukeln auch rum ohne das man was vom untersteuern gemerkt hätte. Kompensieren? Ganz einfach... Einfach das Lenkrad durch die Finger gleiten lassen, durch die physikalischen Gegebenheiten und dem Aufbau der Achsen drehte das Lenkrad von alleine immer in die Richtung in die das Heck ausgebrochen ist, vorausgesetzt man hat es zwischen den Fingern durchrutschen lassen. Hier reichte schon ein guter Zentimeter und das Heck hat sich wieder stabilisiert.
    Alles in allem würde ich persönlich die Volvos mit Heckantrieb und starrer Hinterachse jedem Fahranfänger empfehlen. Das Fahrwerk verzeiht einem nahezu jeden einzelnen Fehler den man als Fahrer so machen kann. Kleinere Korrekturen am Lenkrad und schon ist das Fahrzeug wieder stabil.
    Der Grenzbereich kündigte sich immer "Stunden" vorher an und man hatte immer ausreichend Zeit zu überlegen was man machen will.
    Hat man auf nasser Straße einen Blitzstart hingelegt drehten die Räder meist beim Schalten in den 2. Gang durch, trotzdem blieb das Heck stabil in der Spur.


    Nun zur Multilink.
    Auf trockener Straße astrein. Hier liegt der Elch sprichwörtlich wie ein Elch, wankt zwar etwas mehr als mein alter tiefergelegter Diesel, bleibt aber ähnlich stabil in den Kurven. Dennoch neigt das Heck dazu auszubrechen. Man hört auch hier im Quietschen der Riefen das man sich so langsam dem Grenzbereich nähert. Wobei die Formulierung nicht so ganz passend ist. Hört man es quietschen IST man schon mitten im Grenzbereich und sollte sich langsam darauf einstellen daß das Heck jetzt gleich rumkommt.
    Auf nasser Straße jedoch eine wahre Katastrophe. Fährt man zügig durch ne kurve und gibt beim herausfahren Gas bricht schlagartig das Heck aus!
    Fährt man durch eine langgezogene breite Kurve die gut einsehbar ist und will den Grenzbereich austesten, gibt man also langsam immer etwas mehr Gas. Normalerweise wartet der Volvofahrer nun darauf daß die Vorderachse eher nach vorne als um die Kurve will, nur wird daraus nichts. Das Heck bricht von jetzt auf gleich völlig ohne Ankündigung aus. Die Korrektur am Lenkrad erfordert dann aber schon eine gute viertel Umdrehung des Lenkrades um das Heck wieder abzufangen, das man gleichzeitig vom Gas geht ist klar.
    Gut, jetzt kann man sagen der Motor hat untenrum mehr Dampf als der D24TIC (wenn dem so wäre...), aber auch das habe ich ausprobiert.
    Vor einer langen breiten Kurve bin ich einfach vom Gas gegangen und habe in der Kurve einfach deutlich weiter eingelenkt. Ein Starrachsenvolvo hätte nun schlichtweg mit den Vorderrädern geschrubbt und wäre wie ein Öltanker erstmal dem alten Lenkeinschlag gefolgt um ganz allmählich den neuen einzunehmen.
    Mit der Multilinkachse bricht aber einfach schlagartig das Heck aus was man wiederum nur durch ein drehen um eine viertel bis halbe Umdrehung am Lenkrad korrigieren kann.
    Zudem ist es mir schon öfter passiert das ich an ner Ampel mit Halbgas losfahre (nasse Straße) und die Hinterräder beim Schaltvorgang 1-2 Stufe anfangen durchzudrehen. Ist die Musik mal etwas lauter bekommt man das nicht sofort mit, der Motor ist im Vergleich zum Diesel ja nun etwas leiser. Und guckt man nicht auf den Tacho, dessen Nadel plötzlich irgendwo im 100-120er Bereich steht, merkt man es erst wenn das Heck mit einem heftigen Ruck nach rechts oder links ausbrechen will. Nicht das beim Diesel oder B230FT die Hinterräder nie durchgedreht hätten, auch da kam sowas öfter mal vor, aber man brauchte NIE in irgendeiner Weise am Lenkrad drehen um zu verhindern daß das Heck ausbricht. Das Heck ist immer in der Spur geblieben und die Räder haben schlichtweg solange durchgedreht bis sich die Geschwindigkeit angepasst hat, oder bis der Bereich des hohen Drehmoments verlassen wurde und die Kraft nicht mehr ausgereicht hat.


    Nicht das ich den 960 nach gerademal 12.000km wieder abgeben würde weil mir die Hinterachse nicht in den Kram passt, aber wenn ich ehrlich sein soll, ein Fortschritt ist das nicht.
    Der Komfort ist natürlich besser als bei der Starrachse, auch die Geräusche sind deutlich reduziert, aber von der Stabilität her ist die Achse einfach nur Murks.
    Mercedes hat ähnliche Achsen seit den 80er Jahren und solche Probleme habe ich da noch nicht erlebt (ja ich fahre auch andere Benze als den 123er).
    BMW hat auch Multilenkerachsen, trotzdem nicht so krasse Probleme mit ausbrechenden Hecks. Opel könnte man da schon eher mit vergleichen. Die Omega A und B und die Senatoren sind auch so schnell mit dem Heck ausgebrochen wenn die Straße nass war und man nicht aufgepasst hat.
    Aber für ein Fahrzeug dessen Markenname für Sicherheit auf höchstem Niveau steht ist sowas echt ein Rückschritt. Gerade die Schweden die von Haus aus nen Elchtest machen bevor sie ihre Autos auf die Menschheit loslassen hätte DA noch ein bisschen Feinarbeit reinstecken können.
    War ich bisher doch immer der Überzeugung das ein alter Volvo ein Fahrwerk hat das keine elektronischen Stabilitätsprogramme braucht, hat sich meine Meinung doch deutlich geändert.
    Mit einem ESP und einer elektronischen ASR wäre die Multilink sicherlich was für die damalige Zeit, und auch heute noch, sehr komfortables und noch dazu sicheres Achssystem.
    SO sollten Fahranfänger eher die Finger von Volvos mit Multilinkachsen lassen oder wirklich bei feuchten Straßen gaaaaanz langsam unterwegs sein.


    Gruß
    Fredy
    Ps. Bevor jetzt jemand meint es würde an den beschissenen Reifen liegen.
    Ich denke nicht das Pirellis mit 7mm Profil da als Übeltäter in Frage kommen 8)

  • Moin Fredy,
    auch von mir vielen Dank für den ausführlichen Bericht.
    Allerdings kann ich genau das Gegenteil berichten.
    Die Starrachse war halt eine Starrachse, das sagt "alles" über die Fahreigenschaften. Robust und gutmütig, dafür nicht so komfortabel. Die MLII empfand ich immer als erste Sahne und hatte immer das Gefühl damit sogar besser im Grenzbereich fahren zu können, als mit der Starrachse.
    Aber dieser Eindruck hängt natürlich von unzähligen Faktoren (Reifen, Stoßdämpfer, Beladung, dem Füllstand des Wischwassertanks,...) sowie vom rein subjektiven Empfinden des Fahrers ab.
    Ich würde die MLII trotz allem nie gegen eine Starrachse austauschen (wenn das ohne Probleme möglich wäre).



    Viele Grüße
    Benny

  • Hallo Micha.
    Ja, auch wenn schon einige Tage alt.


    Mein Erkenntnis mit Hinterachsen die keine feste Spur und Sturz haben ist ebenfalls so - sie brechen früher aus.
    Fahrzeuge mögen komfortabler sein oder durch aktive Fahrwerke/Stoßdämpfer (MB E-Klasse) wenige wanken und damit ein Sicherheitsempfinden erzeugen bis zu dem Grenzpunkt den die Physik vorgibt und dann ist ein Fahrzeug mit starrer Führung der hinteren Räder - den Führungsrädern - deutlich unempfindlicher.
    Ein SAAB 900 (alter Turbo) ist durch die Last vorn untersteuernd ausgelegt nur durch die Verbundlenkerhinterachse (starr) kann die Fuhre sauber in der Spur gehalten werden. Der Grenzbereich beim SAAB kann wie der des Volvos sehr hoch sein, wenn rechtszeitig der Gasfuß leicht gelupft wurde.
    Zurück zum Volvo mit Multilink Hinterachse - die seitlichen Bewegungen der Räder beim Ein- und Ausfedern bedeuten immer eine Reduktion der seitlichen Führungskräfte, im Grenzbereich ergibt sich das von Fredy beschriebene Problem.


    Ob dadurch der Volvo mit Multilinkachse "gefährlicher" wird, bezweifle ich - das ist der Grenzbereich und ich würde es als etwas anspruchsvoller bezeichnen, weshalb die Mahnung von Fredy als Hinweis auf bedachteres Fahren abzielt und eben nicht für Fahranfänger die damit vielleicht nicht zurecht kommen.


    Einem Porsche 911 billigte man lange Zeit ein nicht mehr kontrollierbare Verhalten im Grenzbereich zu und das ist ein Sportwagen, oder? Das nenne ich, auch für erfahrene Nutzen, "gefährlich".
    Gruß
    Jörn

  • Moin,


    muss auch noch ein paar Takte dazu geben...


    Die Starrachse mag auf glatter Fahrbahn eher kalkulierbar sein, als die ML-Achse.
    Dafür mag die Starrachse Querrillen und Fahrbahn-Unebenheiten in Kurven bei höheren
    Geschwindigkeiten ganz und gar nicht. Da muss man heftig korrigieren und kommt leicht
    in unangenehme Situationen, wenn man dabei den Grenzbereich erreicht oder überschreitet.


    Zumal das dann auch ziemlich unerwartet passiert. Und Querrillen und Schlaglöcher sind
    auf Deutschen Straßen nichts wirklich Außergewöhnliches.


    Die ML verhält sich da einmal komfortabler, zum Anderen bleibt der Wagen deutlich stabiler
    und reagiert nicht so heftig.


    Ich würde die ML vorziehen, wenn nicht ...
    die Achse deutlich schwerer wäre
    ... und einen erheblichen Wartungsaufwand machte (Buchsen)
    ... und das Teil nicht zu allem Überfluss auch noch rosten würde (Träger).


    Viele Grüße
    Ralf

  • Ohja, ein Achsenthread!


    Ich bin 244 Automatik und 945 hpt gefahren. Beide waren auf Untersteuern getrimmt, brachen aber auch hinten aus. Der 244 früher als der 945, der vermutlich mittels Stabilisatoren anders getrimmt war. Jedoch hatte ich tatsächlich immer das Gefühl, ich wüßte, wann's passiert. Auch Trampeln der Heckachse auf schlechter Straße ist doch kein Problem, rutscht er halt früher. Hat alles geklappt, bis auf einmal; und deshalb ist der 945 Geschichte (rückwärts auf die Auffahrt ist nicht so der Hit).


    Seit 2003 fahre ich 964-II. Der untersteuert kaum, wenn alles iO ist. Aber wenn ich ehrlich bin, dann weiß ich nie genau, wann er anfangt hinten wegzurutschen. Ich habe den Eindruck, daß es sehr früh anfängt. Und wenn ich das so interpretiere, dann habe ich einen weiten Grenzbereich. Wenn er dann tatsächlich mal richtig ausbrach, war er sehr gutmütig wieder zu fangen. Ich mag die Indifferenz der ML2 lieber als das Untersteuern des 945.


    Schlußendlich sollte ich mal einen Wagen mit einem vernünftigen Fahrwerk fahren. Ohne elektronische Helferlein und längere Zeit.

  • Wenn die Grenzen der Physik erreicht sind, ist es egal, welch Typ Achse verbaut ist. Ich finde, beide Achstypen haben ihre Daseinsberechtigung und sind gut beherrschbar. Eine längsblattgefederte Starrachse ist da schon eine andere Nummer in Fragen der Fahreigenschaften, aber eben auf unwegsamen Strecken unschlagbar komfortabel.

    Grüße von der Ostsee


    Johannes




    Für Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben übernehme ich keine Gewähr

  • Ich hatte auch jahrelang den Vergleich zwischen V90 und 945. Aus meiner Erinnerung verhielt es sich so, dass der V90 derjenige war, der in schnell gefahrenen Kurven deutlich eher zum untersteuern neigt als der 945. Ich hab immer gedacht, das wird wohl an dem großen Block im Motorraum liegen. Keine Ahnung... Weiß jemand, was wie sich das mit den Gewichten von Rotblock und Alu-6 Ender verhält?